Geschichte

I. Treibende Kräfte

 

1. Das Wetter

 

Für den wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung im Hochmittelalter war eine klimatische Wärmephase von großer Bedeutung. "Die mittelalterliche Warmzeit wird auf die Jahre zwischen 1000 und 1300 datiert, aber natürlich gab es keinen abrupten Übergang und kein exakt definierbares Ende" (Roland D. Gerste, Wie das Wetter Geschichte macht. Stuttgart 2016, S, 63). "Die rund drei Jahrhunderte der mittelalterlichen Warmzeit begünstigten das Überleben nicht nur in einem Maße, wie es früheren Generationen nicht beschieden war - es kam zu einem bislang unbekannten Bevölkerungswachstum" (ebd. S. 65). "Insgesamt dürfte sich die europäische Bevölkerung in der Warmperiode verdreifacht haben - eine Wachstumsrate, die es erst im sich industrialisierenden 19. Jahrhundert wieder geben würde" (ebd. S.69).

 

Ungefähr um 1570 begann eine Kälteperiode, die wir heute die 'kleine Eiszeit' nennen. Philipp Blom (Die Welt aus den Angeln, München 2017) schreibt darüber: "Mit der Abkühlung des Klimas um mehr als vier Grad gegenüber den warmen Tagen des späten Mittelalters aber häuften sich im 16. Jahrhundert die schlechten Ernten und die Hungersnöte" (ebd. S. 23). Die Reaktionen der Bewohner Europas hierauf waren "Fasten, Beten, die Teilnahme an einer Prozession, oder das Verbrennen von Hexen. Im Laufe des 17. Jahrhunderts änderte sich dieser Zugang [,an die Probleme heranzugehen] - auch weil das moralisch-religiöse Model so offensichtlich keine positiven Resultate erbrachte" (ebd. S. 247). Vernunft und Wissenschaft wurden die Instrumente der Wahl zur Verbesserung der Lage.

 

 

2. Die Sehnsucht nach dem Paradies

 

Ian Morris schreibt über die geschichtlich relevanten Kräfte: " 'Veränderungen werden von faulen, habgierigen, verängstigten Menschen bewirkt, die nach leichteren, profitableren und sichereren Wegen suchen, etwas zu tun. Und sie wissen nur selten, was sie eigentlich tun.' ... Jeder faule und verängstigte Mensch sucht sich das Gleichgewicht zwischen einem angenehmen Leben, möglichst wenig Arbeit und Sicherheit, das seinen Bedürfnissen am ehesten entspricht. ... Manchmal jedoch sind die Menschen in einer Verbindung aus Faulheit, Angst und Habgier bereit, Risiken auf sich zu nehmen und Neuerungen anzustoßen, die die Spielregeln verändern" (Wer regiert die Welt?, Frankfurt am Main 2011, S. 36). Er meint also, der Mensch strebe aus unedlen Motiven unbewusst paradiesische Verhältnisse an: ein gutes Leben in Sicherheit.

Leider bewirkte dieses Streben nicht nur technischen Fortschritt und zunehmenden Wohlstand, sondern auch Umweltverschmutzung, Artensterben und den Klimawandel.

 

 

3. Die Vernunft

 

Der deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel sah die Geschichte als einen fortschreitenden Prozess hin zu mehr Vernunft und mehr Freiheit. Er sagt: "Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit - ein Fortschritt, den wir in seiner Notwendigkeit zu erkennen haben" (G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Werke 12, Frankfurt am Main 2019, S. 32). "Notwendig ist das Vernünftige als das Substantielle, und frei sind wir, indem wir es als Gesetz anerkennen und ihm als der Substanz unseres eigenen Wesens folgen" (ebd. S. 57). Dabei kann es in diesem Entwicklungsprozess aus seiner Sicht durchaus auch Phasen des Stillstands und Rückschritts geben. Insgesamt sei es ein mühsamer Prozess: "Die Freiheit ... muss vielmehr erworben und gewonnen werden, und zwar durch eine unendliche Vermittlung der Zucht und des Wissens" (ebd. S. 59).

 

 

II. Ereignisse

 

1. Roggen und Hafer

 

Wir wissen nicht, wer im 7. Jahrhundert zwei neue Getreidesorten nach West- und Mitteleuropa brachte. Wahrscheinlich war es kein punktuelles Ereignis, sondern ein schleichender Prozess. Michael Mitterauer (Roggen, Reis und Zuckerrohr, in: Cerman/Steffelbauer/Tost, Agrarrevolutionen, Insbruck/Wien/Bozen 2008) beschreibt diesen Vorgang folgendermaßen:

"Roggen und Hafer als 'Getreide der zweiten Generation' stammen wie Weizen und Gerste als die der 'ersten' aus dem Vorderen Orient" (ebd. S. 156). Im Rahmen der sich sukzessive verbreitenden Dreifelderwirtschaft "wurde Roggen zum dominanten Wintergetreide, Hafer zur beherrschenden Kulturpflanze des Sommerfelds" (ebd. S. 157). Die Dreifelderwirtschaft bewirkte ein erhebliches Wachstum der Nahrungsmittelproduktion. Diese wiederum war eine Ursache des damaligen Bevölkerungswachstums und der Expansion der Städte in Nordwesteuropa. Roggen und Hafer wurden nicht für den nordalpinen Raum gezüchtet, erwiesen sich aber zufällig als die optimalen Kulturpflanzen für die spezifischen Klimaverhältnisse dieser feuchten und kühlen Zone.

 

2. Die Nicht-Entdeckung Amerikas

 

Der chinesische Kaiser Yongle "umgarnte seine Handelsbeziehungen mit einem diplomatischen Netz, entsandte gleichzeitig jedoch die größte Flotte, die die Welt je gesehen hatte. ... Der schlichte Plan war, zu den reichen Städten am Indischen Ozean zu segeln und deren Herrscher, denen beim Blick durch die Palastfenster angesichts der zahllosen chinesischen Segel angst und bange wurde, zu großen 'Tribut'-Zahlungen zu bewegen, um den Handel damit in geordnete, also kaiserliche Bahnen zu lenken. Insgesamt sieben solcher Schatzflotten wurden zwischen 1405 und 1433 losgeschickt ... . Die Schiffe der Ming-Dynastie hätten, wenn die Kapitäne das gewollt hätten, ohne Zweifel nach Amerika segeln können. ... Yongle starb 1424, und eine der ersten Aktionen seines Nachfolgers war das Verbot von Fernreisen. ... 1436 beschied der Hof wiederholte Anfragen aus Nanjing nach mehr Handwerkern abschlägig, und in den nächsten beiden Jahrzehnten verfiel die große Flotte" (Ian Morris, Wer regiert die Welt?, Frankfurt am Main 2011, 395 ff.).

Manches in der Geschichte wäre möglicherweise anders verlaufen, wenn nicht europäische sondern chinesische Kapitäne den amerikanischen Kontinent entdeckt hätten.

 

3. Die Bevölkerung denkt mit

 

"In den 1970er Jahren bahnte sich ein gestaltender Wandel an, weil zuerst zwar nur kleine Gruppen auf ökologische Probleme aufmerksam machten, die Bevölkerung hierauf aber zunehmend positiver reagierte. Das Neue an dieser Bewegung war, dass sie weniger die Unfälle als die normalen Prozesse und Produkte der Industrie kritisierte" (Harm G. Schröter, Von der Teilung zur Wiedervereinigung [1945 - 2004], in: Michael North [Hg.], Deutsche Wirtschaftsgeschichte, Ein Jahrtausend im Überblick, München 2005, S. 403). Die Umweltbewegung sollte sich in der Folgezeit als gestaltender politischer Faktor nicht nur in Deutschland sondern in fast allen Industrienationen und darüber hinaus erweisen.

 

 

III. Geografie

 

1. Geflutete Bergwerke

 

China war für viele Jahrhunderte technologisch den europäischen Ländern überlegen. Ungefähr 1775 kreuzten sich die Entwicklungslinien, und Europa wurde dominant. Durch die Erfindung der Dampfmaschine wurde in Europa ein bedeutender technologischer und ökonomischer Schub ausgelöst. Es entstand der auf fossiler Energie basierende industrielle Kapitalismus. Warum geschah dies gerade im Westen Europas und nicht in Ostasien?

Keneth Pomeranz (The Great Divergenz, Princeton 2000) hat sehr genau die Faktoren herausgearbeitet, die zu diesem Wandel führten. Einerseits gab es in England im 18. Jahrhundert mehr Uhr- und Büchsenmacher, die in der präziesen Fertigung von Metallteilen versiert waren, als in China. Andererseits lagen die englischen Kohlebergwerke zufällig in Gebieten mit hohem Grundwasserpegel, während die chinesischen Bergwerke in den trockenen Regionen Nordchinas zu finden waren. Da die ersten Dampfmaschinen große Ausmaße hatten und extrem schwer waren, wollte sie zunächst niemand haben. Als einzige Nutzungsmöglichkeit bot sich der Einsatz der Maschine als Wasserpumpe an, die geeignet war überflutete Kohlebergwerke trocken zu halten. Dies hatte nebenbei auch den Vorteil, dass das benötigte Brennmaterial direkt vor Ort vorhanden war. Erst später wurden die Maschinen kleiner, leichter und transportabel.

Hätte ein Chinese die Dampfmaschine erfunden, wäre die Erfindung möglicherweise schnell wieder in Vergessenheit geraten. Wofür hätte man diese monströsen Geräte in China verwenden sollen?